Waren die Eltern schuld?

Die Frage der Schuld war DIE Frage nach dem Krieg, die nie oder selten gestellt wurde. Wer sollte sie auch stellen? Die meisten Menschen waren mit dem Überleben beschäftigt, mit dem Wegräumen der Trümmer, der Suche nach dem Notwendigsten. Die Mehrheit war froh, überhaupt noch zu leben, mehr war da am Anfang nicht.

Die Kinder fragten sich schon, aber wer sollte antworten?

Doch für viele Kinder stellte sich die Frage, was genau denn in den zwölf Jahren vor Kriegsende passiert war. Vielleicht noch nicht im Jahr 1945, aber die Fragen standen oft zwischen ihnen und ihren Eltern. Was hatte der Vater im Krieg getan? So waren nun die wenigsten Väter wirkliche Massenmörder, und auch nur wenige waren Widerstandskämpfer. Dazwischen gab es eine Mitte mit vielen Möglichkeiten. Es gab Schreibtischtäter, also Leute, die am Schreibtisch Urteile fällten, die schlimme Folgen mit sich brachten. Es gab so genannte Mitläufer, die einfach das taten, was die anderen machten.

Es gab Sympathisanten, also Leute, die es vielleicht ganz gut fanden, was die Nazis sagten, aber doch nicht alles. Es gab die überzeugten Parteileute und die Angsthasen, die einfach nur Angst hatten. Es gab die Mutigen, die vielleicht wirklich unter dem Einsatz ihres Lebens anderen geholfen hatte. Und es gab diejenigen, die sich gefügt hatten, aus Angst, aus Gewohnheit, aus dem Bedürfnis heraus, nur nicht aufzufallen. Keiner weiß, wie wir gehandelt hätten.

Wer sagte die Wahrheit?

Doch wer sagte nun die Wahrheit? Wer wollte sie wissen? Keiner getraute sich zu fragen. Warum? Vielleicht aus Angst vor den Antworten. Die Kinder wussten, dass Schreckliches geschehen war, nur viele wussten nicht so genau, was. Und wenn es Antworten gab, woher sollte man wissen, ob diese nun stimmten?

Waren alle Täter plötzlich weg?

Doch wohin waren all die entschwunden, die das Schreckliche getan hatten? Die Vorstellung, dass die eigenen Väter und Großväter, Onkel und Cousins, aber auch die Mütter und Tanten irgendwas verbrochen hatten, das wollte kein Kind gerne hören. Waren es doch Menschen, die man liebte und die einen beschützten.

Und die Eltern?

Die wenigsten Eltern konnten ihren Kindern den Krieg oder gar den Holocaust erklären. Wie sollten sie auch? Wie sollten sie ihren Kindern die Ermordung von über 6 Millionen unschuldigen Menschen erklären? Wie sollten sie erklären, einem Mann und einer Politik hinterhergelaufen zu sein, der so viel Unglück über die ganze Welt gebracht hatte? Keine einfachen Fragen, doch so gar keine Antworten.

... die schwiegen ...

Das Ergebnis war, die meisten schwiegen darüber. Schon bald war der Satz zu hören "Hört auf mit den alten Zeiten, der Krieg ist vorbei", so oder ähnlich tönte es aus vielen Mündern. Die Fragen der Kinder blieben unbeantwortet. Es sollte eine Weile dauern, bis die Kinder und irgendwann die Enkel begannen, die Fragen erneut oder vielleicht auch zum ersten Mal zu stellen. Das Unrecht, das begangen wurde, konnte oft  nicht mehr bestraft werden. Viele Täter hatten sich schon längst aus der Verantwortung gestohlen.

Trotzdem war und ist es wichtig, die Fragen nach dem Was, Wie und Warum immer und immer wieder zu stellen. Auch heute noch und wer das Gegenteil behauptet, lässt das Unrecht wieder aufleben und begeht die schrecklichen Verbrechen von Neuem.

Und wer sollte fragen, wenn nicht die Kinder?