Ausreisewelle

Ausreiseanträge

Wer die DDR dauerhaft verlassen wollte, musste einen "Antrag auf ständige Ausreise" stellen - kurz Ausreiseantrag genannt.
 

Schikanen nach dem Ausreiseantrag

Die politische Führung der DDR betrachtete den Ausreisewunsch als Absage an ihren Staat und an den Sozialismus - und das wollte sie nicht hinnehmen. Mit allen Mitteln sollten Antragsteller eingeschüchtert werden.

Die Antragsteller wurden spätestens jetzt von der Stasi überwacht und waren Schikanen ausgesetzt. Meist verloren sie ihren Arbeitsplatz oder durften z. B. nicht studieren. Indem man ihren Personalausweis einzog und ihnen dafür eine Klappkarte mit einem Vermerk aushändigte, wurden die Antragsteller zudem wie Kriminelle behandelt.
 

Immer mehr Ausreiseanträge

Die Zahl der Ausreiseanträge stieg dennoch ab 1977 kontinuierlich an und erreichte 1984 ihren Höhepunkt. So gab es 1977 8.400 Neuanträge, 1984 gab es 57.600 neue Anträge. 1985 sank die Zahl zunächst auf 27.300, um schon 1986 wieder auf 50.600 zu steigen. 1989 hatten bis zum 30. Juni schon 23.000 Menschen einen Ausreiseantrag gestellt.

Anders als von der politischen Führung erhofft, wurde die Zahl der Antragsteller nicht kleiner. Zwar nahm insgesamt fast ein Drittel der Antragsteller den Antrag wieder zurück, weil man die Schikanen nicht ertrug, doch insgesamt verließen zwischen 1977 und 1989 rund 176.000 Menschen die DDR. Hierbei sind die Personen eingerechnet, die von der Bundesrepublik als politische Häftlinge freigekauft wurden.

Und noch mehr Zahlen: Zwischen 1961 und 1988 reisten etwa 383.000 Menschen legal aus der DDR aus, also nachdem sie einen Antrag gestellt hatten. Im selben Zeitraum verließen etwa 222.000 Menschen auf anderen Wegen die DDR, nämlich durch Flucht, nach Freikauf durch die Bundesrepublik oder indem sie nach einem genehmigten Besuch nicht zurückkehrten.
 

Das Recht auf Freizügigkeit

Ein Ausreiseantrag hatte durchaus Aussicht auf Genehmigung. Allerdings konnte es Monate bis Jahre dauern, ehe die Ausreise endlich genehmigt wurde.

Viele Antragsteller beriefen sich auf das Recht auf Freizügigkeit, wie es in der Schlussakte von Helsinki formuliert worden war und die auch von der DDR unterzeichnet worden war.

Auch war die DDR seit 1973 Mitglied der UNO. Zu deren Grundsätzen gehörte aber auch Artikel 13, Absatz 2, der besagt: "Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren."
 

Folgen für die DDR

Ein Land, dem die Leute wegrennen? Das kann nicht gut sein. Noch dazu waren es häufig diejenigen, die besonders gut ausgebildet waren. Das spiegelte nicht nur wider, wie es den Menschen in der DDR erging, sondern führte auch zu einer weiteren Verschlimmerung der wirtschaftlichen Lage. Viele Ausreisewillige beteiligten sich auch an den Protesten und Montagsdemonstrationen.