Mariechen erzählt

Die 12-jährige Marie, auch Mariechen genannt, berichtet über einen Bombenalarm.

Sirenengeheul! Noch einmal Sirenen! Das war der Hauptalarm, denkt sich Mariechen und will eigentlich noch einmal schnell unter ihre warme Bettdecke schlüpfen. Aber sie weiß, dass das nicht geht. Bei Fliegeralarm müssen alle in den Luftschutzkeller, vor dem ihr graut. Der Weg in den Keller ist schon mit Schutt übersät, es ist nicht der erste Angriff, viele Häuser ihres Viertels wurden schon zerstört, nur mit Glück ist ihre eigene Wohnung bisher heil geblieben. Sie hört in einiger Entfernung das Geräusch fallender Bomben, das ihr schon so vertraut ist. Manchmal hört sie die Einschläge, die ganz schnell aufeinander folgen, manchmal trifft auch nur eine Bombe. Die Geräusche kommen näher. Mariechen muss sich beeilen, sonst schafft sie es nicht mehr vor den Bombern in den Keller.

Hier sitzen schon ganz viele Menschen eng aneinander gedrückt. Die meisten kennt sie ja, es sind ihre Nachbarn. Manche kann sie gut leiden, andere nicht. Besonders unangenehmem ist ihr der Blockwart, der dafür Sorge trägt, dass im Keller auch alles ordnungsgemäß abläuft. Die Luft ist stickig, fast kaum zu ertragen, und das Atmen fällt ihr schwer. Es riecht unangenehm nach Schweiß und nach ungewaschenen Körpern. Aber im Moment ist ihr das egal. Sie ist einfach so müde und will eigentlich nur schlafen. Das ist schon die vierte Nacht hintereinander, in der sie nicht durchschlafen darf. Sie schaut sich um, ihr kleiner Bruder kuschelt sich eng an die Mutter, die schon vor ihr den Keller erreicht hat. Wieder hört sie die Geräusche der fallenden Bomben, der Kalk rieselt von den Wänden, die Flieger müssen ganz nah sein und ihr Viertel bombardieren. Alle haben Angst, Angst davor, im Keller verschüttet zu werden und hier nie wieder rauszukommen. Stützende Balken fehlen. Es klirrt und kracht überall.

Plötzlich poltert es ganz laut, als ob ein Haus ganz in ihrer Nähe getroffen wurde. Die Wände wackeln, sie hört eine junge Frau schreien, die anderen im Keller sind ganz ruhig. Dann wird es still, kein Geräusch ist zu hören. Nur das Atmen der anderen im Keller. Sie sitzen hier, die Minuten dauern Stunden, Mariechen verliert jedes Zeitgefühl. Sie will nur eines, sie will hier raus, sollen die blöden Bomben sie ruhig treffen, dann muss sie sich wenigstens nicht mehr dauernd fürchten.

Nach einiger Zeit dann Entwarnung. Aufatmen auf allen Seiten. Sie haben es alle noch einmal überstanden, sie haben überlebt, doch wie lange noch?