Memminger Prozess

8. 9. 1988 - 5. 5. 1989

Illegaler Schwangerschaftsabbruch in Memmingen?

Seit 1976 galt in der Bundesrepublik für Abtreibungen die Indikationslösung. Eine Frau, die eine Schwangerschaft unterbrechen wollte, musste bestimmte Bedingungen erfüllen.

So blieb die Abtreibung straffrei, wenn zum Beispiel das Leben der Frau bedroht war oder eine schwere Behinderung des Kindes vorlag. Die Frau musste sich vorher beraten lassen. Die Einzelheiten regelte der Paragraph 218.

In den einzelnen Bundesländern wurden die Beratung und die Ausführung der Abtreibung sehr unterschiedlich gehandhabt. Besonders streng wurden die Bestimmungen in Bayern und Baden-Württemberg ausgelegt. Darum fuhren viele Frauen zur Abtreibung nach Hessen oder in die Niederlande, wo es noch einfacher war, eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
 

Was geschah in Memmingen?

In Memmingen in Bayern hatte der Frauenarzt Horst Theissen seine Praxis. 1986 wurde er anonym wegen Steuerhinterziehung angezeigt.

Die Steuerfahnder nahmen bei der Durchsuchung der Praxis auch Patientenkarteien mit und gaben sie weiter an die Staatsanwaltschaft, die nun wegen illegal (ungesetzlich) vorgenommener Schwangerschaftsabbrüche ermittelte. Im Laufe des Verfahrens wurde auch gegen 279 Patientinnen Theissens ermittelt.
 

Die Verhandlung in Memmingen

Am 8. September 1988 begann die Hauptverhandlung. Mehr als 70 Frauen mussten vor Gericht aussagen und Auskunft über persönlichste Dinge geben. Dieser Umgang mit den Zeuginnen wurde in der Öffentlichkeit stark kritisiert.

Die Notlagensituation, die viele Frauen als Grund für einen Schwangerschaftsabbruch angegeben hatten und die Theissen akzeptiert hatte, lehnten Richter und Staatsanwaltschaft rundheraus ab. Die öffentliche Diskussion um den Paragraphen 218 flammte erneut auf.
 

Das Urteil und die Revision

Horst Theissen wurde zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren sowie einem Berufsverbot von drei Jahren verurteilt. Dagegen legte Theissen Revision ein, d. h. er focht das Urteil an und es musste überprüft werden.

In einem zweiten Urteil wurde der Arzt zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt und musste also nicht ins Gefängnis. Ein Berufsverbot wurde diesmal nicht verhängt.