Botschafts-Besetzungen

Botschaftsflüchtlinge

Immer wieder nutzten DDR-Bürger die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin (die im Mai 1974 eröffnet worden war) und bundesdeutsche Botschaften in Ostblock-Staaten wie Polen oder der Tschechoslowakei, um von dort ihre Ausreise zu erzwingen.

Denn auf dem Botschaftsgelände befanden sie sich in der Obhut der Bundesrepublik. Die DDR (oder das jeweilige Ost-Blockland) hatte dort keinen Zugriff. Die Botschaften boten die Aussicht, in die Bundesrepublik ausreisen zu dürfen, denn die Bundesrepublik erkannte die DDR-Staatsbürgerschaft nicht an und sah alle DDR-Bürger als "Deutsche" an.
 

1984

Die DDR versuchte, Vorfälle mit Botschaftsflüchtlingen geheim zu halten. Meist wurden die Flüchtlinge von der Bundesrepublik freigekauft. Im Januar 1984 wurde das erste Mal öffentlich bekannt, dass es sechs DDR-Bürgern gelungen war, aus der Botschaft der USA die Ausreise zu erzwingen.

Das führte schnell zur Nachahmung und im Frühling suchten mehr und mehr DDR-Bürger Zuflucht in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Sie wollten von dort ihre Ausreise durchsetzen. Leiter der Vertretung war zu diesem Zeitpunkt (1982-1989) Hans Otto Bräutigam. Als das Gebäude mit 55 DDR-Bürgern schon völlig überfüllt war, ließ er es am 26. Juni 1984 schließen.

Irgendeine Lösung musste her, denn es herrschten katastrophale Zustände. Die Flüchtlinge schliefen auf engstem Raum auf Matratzen, es gab zu wenig Toiletten und nur zwei Duschen. Doch die DDR wollte nicht zu früh nachgeben. Man wollte eine abschreckende Wirkung erzielen und zeigen: So ergeht es Fluchtwilligen in den Botschaften - wie in einem Gefängnis.

Nach schwierigen Verhandlungen fand man schließlich einen Kompromiss: Die DDR-Bürger mussten die Vertretung verlassen, ihnen wurden im Gegenzug aber Straffreiheit und eine schnelle Bearbeitung ihrer Ausreiseanträge zugesichert.

Tatsächlich durften alle Besetzer nach und nach in die Bundesrepublik ausreisen. Am 31. Juli 1984 wurde die Vertretung wieder eröffnet. Aber zuvor hatte man die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt und z. B. das Treppenhaus vergittert

Botschaften blieben jedoch ein wichtiger Zufluchtsort für ausreisewillige DDR-Bürger. So besetzten noch im gleichen Jahr 150 Personen die Prager Botschaft.
 

1989: Ständige Vertretung

Am 8. August 1989 wurde die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin nach 1984 erneut geschlossen. 130 DDR-Bürger hatten hier Zuflucht gesucht. Für so viele Menschen war das Gebäude nicht ausgelegt.

Anders als in früheren Jahren wurde den Besetzern zwar Straffreiheit zugesichert, jedoch nicht mehr die "wohlwollende Prüfung" ihrer Ausreiseanträge. Zäh liefen die Verhandlungen. Am 8. September verließen schließlich alle DDR-Bürger mit der Aussicht auf die Genehmigung ihrer Ausreise das Haus.
 

1989: Botschaftsflüchtlinge

Nachdem Ungarn seine Grenzen geöffnet hatte, wurden schließlich von den DDR-Behörden keine Ungarnreisen mehr genehmigt. Nun suchten viele ausreisewillige DDR-Bürger Zuflucht in den Deutschen Botschaften von Warschau (Polen) und Prag (Tschechoslowakei).

Am 22. August 1989 wurde die Botschaft der Bundesrepublik in Prag für den Publikumsverkehr geschlossen - wegen Überfüllung. Mehr als 100 DDR-Bürger warteten hier auf ihre Ausreise. Doch immer mehr drängten nach, kletterten über den Zaun auf das Gelände.

Schließlich befanden sich mehr als 4000 Menschen in der Botschaft. Bald waren die Verhältnisse in der Botschaft katastrophal, denn das Gebäude war nicht für so viele Menschen ausgelegt. Sogar Seuchen drohten.
 

Ausreisegenehmigung

Unter diesen Umständen stimmte Erich Honecker schließlich zu, die DDR-Bürger in den Westen ausreisen zu lassen. Das geschah offiziell aus humanitären Gründen wegen der unhaltbaren Zustände in der Botschaft.

Bundesaußenminister Genscher trat am 30. September 1989 auf den Balkon der Botschaft und sprach die berühmten Worte, die im Jubel der Menschen untergingen: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...". Die letzten Worte "genehmigt wurde", waren nicht mehr zu verstehen.
 

Ausreise über DDR-Gebiet

Am Rande der UN-Vollversammlung hatten die Außenminister der Sowjetunion, der DDR, der Tschechoslowakei, Polens und der Bundesrepublik über die Ausreiseerlaubnis verhandelt. Die Bedingung der DDR war, dass die Züge über das Gebiet der DDR fahren sollten.

So geschah es dann einen Tag nach Verkündung der Genehmigung am 1. Oktober. Sonderzüge brachten etwa 4700 Menschen aus der Prager Botschaft und 809 aus der Warschauer Botschaft in die Bundesrepublik. Während der Fahrt durch die DDR versuchten immer wieder DDR-Bürger auf den Zug aufzuspringen.

Doch sofort nach der Ausreise stürmten weitere DDR-Bürger auf das Gelände der Botschaft. Sie durchbrachen die Absperrungen der Polizei und kletterten über den Zaun der Botschaft. Am 3. Oktober wurde auch ihnen die Ausreise genehmigt und Sonderzüge transportierten nun rund 7600 Flüchtlinge in die Bundesrepublik.

Bahnhöfe und Gleise auf DDR-Gebiet waren zuvor gesperrt worden. Dennoch versuchten erneut DDR-Bürger auf die Züge aufzuspringen. Im Hauptbahnhof von Dresden kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften der DDR.
 

Die DDR macht die Grenze dicht - und öffnet sie wieder

Anfang Oktober führte die DDR eine Visumspflicht auch für die Tschechoslowakei ein, sodass die Grenze dorthin nun auch geschlossen war. Am 1. November hob die DDR die Visumspflicht wieder auf, prompt waren am 3. erneut mehr als 5000 Personen auf dem Gelände.

Nun hoben die Behörden der Tschechoslowakei ihren Teil des Eisernen Vorhanges: Sie erlaubten den DDR-Bürgern, ohne Einschränkungen in den Westen auszureisen. Täglich stiegen nun tausende DDR-Bürger in Züge nach Prag. Daraufhin kündigte die DDR am 9. November an, die direkte Ausreise zu ermöglichen - was noch am selben Abend zur Öffnung der Grenze führte.