Ich heiße Ernst und bin Sozialdemokrat

Ernst ist zwölf Jahre alt und für sein Alter schon recht weit. Vor kurzem hat er ein Theaterstück gelesen, das "Die Weber" heißt und von einem Autor namens Gerhard Hauptmann stammt. Das hat ihn schwer beeindruckt und er plant, später politisch aktiv zu werden. Warum erzählt er uns:

Vor kurzem habe ich "Die Weber" von Gerhard Hauptmann gelesen. Das Stück hat mir sehr gut gefallen. Mein Vater war entsetzt. "So ein Schund", meinte er und der Kaiser hätte es verboten. Na und? Der Kaiser verbietet so vieles, was schert es mich. Mir hat es gut gefallen und die armen Weber haben mir richtig leidgetan.

Auch mein Vater verbietet alles Mögliche. Wir Kinder haben kaum etwas zu sagen. Ich habe noch zwei Schwestern, die sind eigentlich ganz nett, nur für Politik interessieren sie sich gar nicht. Beim Essen schweigen wir immer und meine Mutter, die hält auch meistens den Mund und sagt gar nichts. Schon gar nicht gegen Vater. Das klären wir später, sagt sie immer, wenn ich was sagen will.

Jeden Sonntag geht mein Vater spazieren, er nimmt seinen Hut, damit er ihn rechtzeitig ziehen kann, falls der Kaiser ihm begegnet. Als ob der nur auf meinen Vater warten würde, der schert sich doch gar nicht um seine Bürger. Doch alles was der Kaiser tut, ist richtig, meint mein Vater, auch wenn er die Flotte aufrüstet oder wieder mal großmäulig andere Länder verärgert. Was machen wir denn in Afrika? Haben wir hier nicht genug Probleme zu lösen? Wehe, man sagt aber etwas gegen den Kaiser!

Ich sehe das anders, nicht erst seit ich "Die Weber" von Hauptmann gelesen habe, die beschäftigen sich nämlich mit der Ungerechtigkeit. Die einen haben alles, die anderen nichts, das kann doch nicht Gottes Wille sein? Das meint nämlich meine Mutter, die ist sehr katholisch und rennt dauernd in die Kirche. Bei den letzten Wahlen habe ich Flugblätter für die Sozialdemokraten verteilt. Mein Vater musste in die Schule kommen und der Direktor erklärte mich für "moralisch verdorben". Nur weil ich mich für eine Partei eingesetzt habe, die die Politik unseres Kaisers in Frage stellt.

Stellt euch vor, in unserem Land gibt es noch Leute, die über ihre Arbeiter richtiggehend herrschen wie im Mittelalter. Sie dürfen fast alles mit ihnen tun, sie ungerecht behandeln und niemand unternimmt etwas dagegen. Sie bekommen nicht mal einen anständigen Lohn dafür und wenn sie krank werden, dann hilft ihnen keiner.

Bei uns dürfen sich junge Leute gar nicht politisch betätigen. Es sei denn, sie nehmen an Veranstaltungen teil, bei denen man dem Kaiser zujubelt. Dazu habe ich keine Lust. Aber ansonsten darf man sich keinen Parteien anschließen. Aber mir ist das egal. Vor kurzem war ich bei einem politschen Umzug und habe eine Kundgebung gehört, da hat Karl Liebknecht gesprochen. Der Mann gefällt mir gut und ist bei der SPD. Den wähle ich mal später.